Detlef Kusch Apr 6, 2022 7:26:27 PM Lesezeit 5 Minuten

Konfliktlösung und Einigungshilfe in digitalen Zeiten

So kennen wir es in der Regel aus unserem früheren Arbeitsalltag. Früher? Das war, bevor Corona die Welt auf den Kopf stellte, bevor Social Distancing, Distance-Working oder Remote-Arbeiten die neue Normalität abbildeten. Früher sind wir aufeinander zugegangen, oder dazu angehalten worden, Konflikte oder Unstimmigkeiten auf kurzem Wege zu klären. Indem wir „über den Flur“ auf Kolleginnen oder Kollegen zugegangen sind und diese direkt auf unklare Sachverhalte oder missliebiges Verhalten angesprochen haben. So konnten manche Umstände geklärt werden, bevor sie zum wirklichen Konflikt ausgewachsen waren. Denn im Grunde wünschen wir uns doch ein förderliches und angenehmes Miteinander am Arbeitsplatz und wollen Missverständnisse vermeiden.  

Die neue, Corona-Pandemie bedingte Arbeitsgegenwart hat uns da Steine in den Weg gelegt. War es zuvor schon so, dass die bekannten Kommunikationsfallen wie doppeldeutige, emotionsbetonte oder nebulöse Aussagen dazu führten, dass Menschen sich schnell einmal „in die Wolle“ kriegten, dass Tonalität oder begleitende Gestik und Mimik zur Gesamtbeurteilung von Aussagen herangezogen werden mussten, so ist das heute auf Distanz noch riskanter. In Videokonferenzen oder am Telefon, über Messenger-Botschaften oder E-Mails unterliegen Inhalte einer Nachricht oder Aussage schnell einer ganz individuellen Bewertung und führen eher zu einem Konflikt oder einer konfliktgeladenen Stimmung. Das Konfliktpotenzial nicht nur in ohnehin schon angespannten Verhältnissen ist rapide gewachsen. 

Virtuelle Teams als Konflikttreiber  

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass viele Beschäftigte losgelöst von früher gewohntem, direkten Miteinander wirken, dass Neue im Team sich gar nicht oder eher unvollständig auf- und wahrgenommen fühlen, dass Teams sich im Grunde weniger entwickeln und ausprägen. Denn Interaktion, Kommunikation und Zielführung erfolgen eher digital. Das beruht nicht alleine auf den Folgen der Corona-Pandemie, sondern die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundenen Arbeitsformen haben den Weg schon gezeichnet.  

Digitale Zusammenarbeit in sich birgt schon die Ursache dafür, für die Bewältigung oder den Abbau von - mehr oder weniger ausgeprägten - Konflikten oder Spannungen in Joballtag über keine ausreichenden, sozialen Auffangmechanismen zu verfügen. Die daraus resultierende Unsicherheit  
führt nicht selten dazu, dass Konflikte verschwiegen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Reizbarkeit und Gefühle von Ablehnung bis Hilflosigkeit wachsen bis ins scheinbar Unerträgliche.  

Konflikte sind im Grunde eine menschliche Normalität, sie drücken nichts anderes aus als Meinungsunterschiede, gegenläufige Ansichten, Mitteilung von Unwohlsein oder Verärgerung, sind Ausdruck für Wettbewerb und Grenzsetzung. Das ist so zwischen einzelnen Menschen, aber auch zwischen Teams und Organisationen, bis hin zu Unternehmen und gesamtgesellschaftlichen respektive staatlichen Organisationsformen. Es bleibt die Frage, wie damit umgehen?  
 
Ich möchte zwei Konfliktformen unterscheiden:  
 
1.) Externe Konflikte, wenn Menschen, Teams oder Organisationen nicht gleicher Meinung sind und mindestens eine daran beteiligte Partei darunter leidet. Hier ist es empfehlenswert, den Konfliktursachen auf den Grund zu gehen und einvernehmlich, in den Kontext passende Lösungen zu finden. Aufeinander zugehen, Störempfindungen bekannt geben und Wünsche aussprechen ist ein mögliches Szenario, das den Weg ebnet. Marshall Rosenberg hat das mit seiner Methodik der gewaltfreien Kommunikation sehr gut gefasst. Für diesen, den externen Konflikt tragen mehrere Beteiligte die Verantwortung, und genau dort setzen professionelle Konflikthilfen (Konfliktmanagement, Mediation) an, wenn das Team, die Organisation das selbst nicht in den Griff bekommt.  
2.) Interne Konflikte, etwa bei Entscheidungsfragen oder gegenläufigen Empfindungen (die gerne im sog. Dilemma landen können), durchaus bei der Frage nach Home-Office versus Familienleben, oder Freizeit versus Karriere. Aber auch zwei gleichstarke attraktive Perspektiven können einen Konflikt verursachen (mehr Geld oder mehr Freizeit). Für diese beschriebene Situation sind die Betroffenen jeweils selbst verantwortlich, und es steht ihnen natürlich frei, sich externen Rat oder Hilfe zu suchen. Für das Miteinander wird es nur dann spannend und für eine Situation wie zu 1.) bedeutsam, wenn diese inneren Konflikte im Team und Miteinander landen und dort Wirkung erzeugen.   

Nun stehen wir aktuell ja vor der Situation, wie eingangs beschrieben, dass diese Intervention im externen Konflikt eher im persönlichen Umgang gelöst wird, was aber deutlich erschwert wird durch die neue Realität, das New Normal der Distanzarbeit und der vom analogen Kontakt abgekoppelten beziehungs- und Kommunikationsverhältnisse.  

Wenn es nun noch einige Zeit braucht, bis demnächst wieder persönliche Begegnungen und Zusammenarbeit erwartbar sind, dann ist es unvermeidbar nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, brennende und gärende Konflikte über digitale Wege zu lösen. Denn es liegt auf der Hand, dass „verschleppte“ Konflikte weiter anwachsen und künftig noch mehr Kraft erfordern, mit der Gefahr einer zwischenzeitlichen heftigen Eskalation. Es besteht die Gefahr, dass sich weitere Verärgerung, weitere Frustration aufbaut und die Folgen nur noch schwer zu beheben sind. Nicht nur Kontrahenten sondern auch vom störenden Konflikt belastete Mitarbeiter*innen könnten die Kündigung erwägen, oder sie sind in ihrer Schöpfungs- und Leistungskraft eingeschränkt, Fehlerquoten und Versäumnisse nehmen zu und es zeigen sich über die Team- und Organisationsbelastung auch noch wirtschaftliche Schäden ab. Darauf darf man es nicht beruhen lassen!  

Zur Konfliktlösung braucht es grundsätzlich den Willen der Beteiligten, diese auch anzustreben und zuzulassen. Ganz gleich, ob im persönlichen Interventionsfeld oder ob digital. Geschützter Raum, gute Atmosphäre und zielorientierte Gesprächsführung sind die Grundbedingungen. Natürlich ist es von Vorteil, eine Ergebniserwartung und ein förderliches Empfinden für das Miteinander zu unterlegen.  

Woraus resultieren externe Konflikte gerade im digitalen Umfeld?  

Im Grunde genommen ist es schnell erklärt: Es fehlen die gewohnten, sozialen Umgangsformen, die das Feingefühl für Situationen und Empfindungen fördern.  

Da ist z.B. der beliebte „Flurfunk“: Im Gang, am Lift, am Kaffeeautomaten, zum Frühstücks- oder Mittagstisch. Hier werden Meinungen geformt, Zugehörigkeiten gefestigt, Allianzen geschmiedet und brisante Themen berührt, letztendlich auch Konflikte bereinigt, die dann gar nicht erst weiterwachsen. Auch unter den Mitarbeiter*innen, die sonst kaum direkt miteinander arbeiten und wirken. Es ist eine Form der Sozialhygiene, die auf digitalem Weg nur sehr eingeschränkt möglich ist. Dort schließen sich eher Personen(gruppen) zusammen, die sich geneigt sind, gleiche Ansichten und Meinungen vertreten und dadurch einen Informations- und Wahrnehmungsfilter bilden. Der Betrachtungsfokus von Situationen und Gegebenheiten wird schnell sehr eng. 

Online fehlen die vielschichtigen Wahrnehmungen der Menschen, mit denen wir zu tun haben. Wie eingangs beschrieben verfügen wir online nur über beschränkte Wahrnehmung von Gestik und Mimik, aber auch feine Momente wie eine Veränderung des Atems, der Motorik (Unruhe/Erstarrung), der (schnellen) Blickführung oder des Blickwechsels. Alles, was wir sonst intuitiv wahrnehmen und das Einfluss auf Vertrauensbildung und Zugehörigkeitsgefühl Einfluss nimmt, steht nur begrenzt zur Verfügung. 

Wie sieht eine online Lösung zur Konfliktmanagement und Einigungshilfe aus? 

Nachdem die Wahrnehmung online sehr begrenzt ist, mit welchem Typus Mensch wir es eigentlich zu tun haben, bleibt letztendlich nur die Umsetzung langer Coachingerfahrung ist systematisches Erkunden, wie die im Mediations- bzw. Konfliktlösungsprozess befindlichen Menschen sich und ihr Leben organisiert haben, wie ihre Bewältigungs- und ihre Belastungsfähigkeiten ausgeprägt sind, wie sie wahrnehmen und verarbeiten, wie sie kommunizieren und interagieren, wie sie werten und auswerten, welche Werte sie vertreten – und diese ganzen Aspekte können bei Konfliktpartnern durchaus sehr unterschiedlich sein. Und wie überraschend ist es, wenn Kontrahenten plötzlich verstehen, wie das „Gegenüber gebaut ist“, wenn deutlich wird, dass ja keine Absicht besteht zu kränken oder anzugreifen, sondern die Kontrahent*innen oft aus lauter Rat- und Hilflosigkeit zu ihren Konfliktführungsmöglichkeiten greifen. 

Erfahrene Coaches können auf einen Wissens- und Kompetenzschatz zugreifen, auch diese Prozesse auch remote/online anzuregen und zu begleiten. Sie sind in der Lage, förderlich und zielführend zu intervenieren, wenn Konflikte hochkochen wollen. Dabei ist es gleich, welcher virtuelle Coaching- oder Konferenzraum dafür genutzt wird. Entscheidend ist die Kompetenz, „hinter den Zaun“ schauen zu können. 

Eine hilfreiche Vorarbeit für den gelingenden online Coachingprozess können Kontrahent*innen und die Personen, die an einer Konfliktlösung interessiert sind, sehr gut leisten: Die Selbstbetrachtung! 

Hier ist eine Möglichkeit eines Selbstchecks abrufbar. 

Banner CTA Selbsttest Konflikttypen

Ich freue mich, wenn Euch dieser Selbstcheck hilfreich ist. Gebt mir doch gelegentlich Rückmeldung zu Eurer Erfahrung damit. Und auch, wenn ihr auf diesem Weg weitermachen wollt! 

Empfehlen will ich Euch auch zwei Sachbücher: 

Glasl, Friedrich (2008). Selbsthilfe in Konflikten. Stuttgart: Freies Geistesleben. 
Schmidt, Gunther (2015). Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer.