Christoph Dill May 10, 2020 9:52:00 PM Lesezeit 7 Minuten

Neo-Ökologie: Nachhaltigkeit bedeutet Zukunftsfähigkeit

Nur ein Upcycling mit Wörtern?

Das Phänomen ist bekannt: Man holt einen alten Begriff aus der Schublade, setzt das griechische Wort „neo“ (lies: neu) als Präfix davor – und voilà! Fertig ist der neue Begriff:

Neo-Ökologie!

Handelt es sich dabei, so fragt sich manch einer, lediglich um eine Art Upcycling mit Wörtern? Wir sind davon überzeugt: Es steckt weitaus mehr dahinter. Denn der alte Begriff „Ökologie“ wird jetzt neu gedacht, wird neu beleuchtet. Und dieser Sachverhalt spiegelt sich in dem Wörtchen „neo“ wider.

Die Ökotopie

In vielen Unternehmen wird das Thema Nachhaltigkeit aus der Marketingabteilung gesteuert. Und nicht von der Unternehmensführung. Eine kurze Annäherung an einen schillernden Begriff:

 Nachhaltigkeit....

... ist kein Nischenphänomen mehr, sondern hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt.

... ist ein „grünes“ Thema, das viele mit Verzicht in Zusammenhang bringen.

... ist keine „Option“ nach dem Motto „Wirtschaften wir nachhaltig oder nicht?“

... ist ein neues Managementparadigma.

Nachhaltigkeit wird nicht mehr in Widersprüchen definiert, sondern integrativ gedacht. Das reine Kosten-Nutzen-Kalkül gehört der Vergangenheit an. Auf diese Weise entsteht ein neues Mindset: Kein „entweder – oder“, kein „entweder Profit oder Nachhaltigkeit“. Es geht um ein „sowohl ... als auch“. Das alte normative Trade-off-Denken, davon sind viele überzeugt, ist empirisch nicht mehr haltbar.

Nachhaltigkeit ist ein Werttreiber, mit dem Unternehmen sich am Markt differenzieren, wenn sie die besseren Lösungen, die besseren Technologien anbieten können. Nachhaltiges Management bedeutet, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen und Effekte unternehmerischen Handelns konsequent in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Und umzusetzen.

Dies bedeutet nichts anderes als einen Paradigmenwechsel: Ein Unternehmen wird nicht mehr nach rein finanziellen Kennzahlen gesteuert, sondern "impact- und purpose-orientiert" - ein unternehmerisches Konzept, das sehr gut zur sozialen Marktwirtschaft hierzulande passt.

„Rechnet sich nicht“! Wirklich?

Nachhaltige Produkte und Services zu entwickeln rechne sich nicht. Ein häufig gehörter Einwand. Klingt in vielen Ohren plausibel. Ist aber falsch. Denn Vorreiterunternehmen lehren Bremsern und Bedenkenträgern: Es geht. Wer behauptet, es gehe nicht, flüchtet sich in Nicht-Verantwortung. Man behauptet, es rechne sich nicht. Richtig ist: Es rechnet sich dann nicht, wenn man alten Denkmodellen verhaftet bleibt.

Beispiel Textilindustrie:

Dort argumentiert man: Der Kunde denkt nur in „billig“ und will keine nachhaltigen Produkte.

Der Konsument sagt: Was soll ich denn machen? Ich kann mir nur billige Kleidung leisten.

Und wenn sich der Gesetzgeber einschaltet (Stichwort Lieferkettengesetz) rufen alle unisono: Wie soll das funktionieren?

Hier ist ein Haltungswechsel erforderlich. Man beschäftigt sich mit Abwehr anstatt mit Lösungen. Die Frage muss anders gestellt werden: „Wie müssen wir es machen, damit wir den Bedarf befriedigen können?“ Unternehmen sollten die Aufgabe als Herausforderung akzeptieren, denn sie haben viele Gestaltungsmöglichkeiten. Um Lösungen zu finden. Insofern handelt es sich um nichts anderes als eine Innovationslücke.

Nachhaltig wirtschaften

Fakt ist: Der Klimawandel ist keine Theorie. Er findet vor unseren Augen statt und ist nicht verhandelbar. Eine Änderung unseres Wirtschaftens ist zwingend notwendig. Allerdings kann festgestellt werden, dass diese Veränderungsdynamik noch deutlich zu gering ist. Weil uns noch immer die Antworten auf zentrale Fragen wie beispielsweise die folgenden fehlen:

  • Wie können wir das scheinbare Dilemma zw. Ökonomie und Ökologie auflösen?
  • Wie funktioniert unsere Wirtschaft mit ökologisch sinnvollen Produkten?
  • Wie gehen wir mit dem Widerspruch „nachhaltige Produkte vs. Konsum“ um?

Viele stellen sich dann weiteren Fragen: Ist es moralisch verwerflich so zu handeln? Müssen wir uns schlecht fühlen, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun – und trotzdem Geld zu verdienen?

Andere fragen sich, wie nachhaltiges Wirtschaften funktionieren soll. Und welche Stellhebel es gibt. Antworten auf diese Fragen lieferten Christoph Dill und Matthias Weber in der ersten Wissensdusche am 11.05. Ihr Thema: Wie in unserem System wirklich nachhaltiges Wirtschaften gelingt. Hier geht's zum Videomitschnitt.

Grün sein oder „Grün scheinen“?

„Green Pressure“ war das Zukunftswort des Jahres 2020. Doch wer steht unter „grünem Druck“? Antwort des Zukunftsinstituts: „Wir alle. Es geht nicht um einen Kampf zwischen Jung und Alt, zwischen Markt und Konsumenten, Politik und Bürgern, sondern um nichts weniger als das Überleben der Menschheit. Ökologie wandelt sich dabei von der individuellen Aufgabe zum gesellschaftlichen Auftrag, dem man sich persönlich stellt, den man aber auch von Politik und Wirtschaft einfordert.“

Das Konzept der Neo-Ökologie erweitert die Wertschöpfung, bindet Kunden ein, verlangt nach einem neuen Denken in Lösungen, um Produkte und Services zu entwickeln. Der Dreiklang lautet Produkt – Dienstleistung – Software.

Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Beschaffungswege und Wertschöpfungsketten erfahren einen gewaltigen Veränderungsdruck in Richtung Verschwendungsvermeidung. Die Folge davon sind massive Änderungen in den Geschäftsmodellen. Das zentrale Stichwort lautet „zirkuläres Geschäftsmodell“. Die produktzentrierte Innovation in linearer Produktion ist ein Auslaufmodell.

Um all diese Facetten wird es gehen in der Dusche Neue Geschäftsmodelle durch Neo-Ökologie am 18.05. Die Experten sind Felix Pliester und Navin Mani. Hier geht's zum Video.

Im Fokus – Nutzen statt Produkt

In der Circular Economy bleibt, überspitzt gesagt, kein Stein auf dem anderen. Denn Fakt ist: Das Konzept hat auch Auswirkungen auf die Entwicklung von Produkten und Services.

Alles alte Denken kreist darum, ein Produkt zu entwickeln, zu produzieren und zu verkaufen. Das Unternehmen verdient Geld damit, und der Kunde ist mit dem Produkt zufrieden. Und wenn es kaputt ist (was möglichst bald nach Garantie-Ende sein sollte...), kauft er sich das neue Nachfolgemodell. Eigentlich inakzeptabel.

Aber wenn die Produkte viel länger halten, stellt sich die Frage: Wovon soll der Hersteller dann leben? Antwort: Er muss sein Produkt um weitere Leistungen ergänzen.

Ein Beispiel, um nicht allzu sehr in Theorie zu verweilen: Ein Hersteller von Weißer Ware entwickelt und produziert seit geraumer Zeit nicht mehr nur Waschmaschinen, sondern verkauft zu den einzelnen Modellen auch Reiniger, Klarspüler und Salz. In den unterschiedlichsten Darreichungsformen: als Tabs, als Pulver, als Salz oder flüssig. Und er bietet im eigenen Shop Setpreise an, wenn Kunden Tabs, Klarspüler und Salz zusammen erwerben wollen.

Für die Geschirrspüler bietet der Hersteller Spezial-Tabs an, die optimal auf das einzelne Modell abgestimmt sind, Überdosierung vermeiden und für einen geringeren Verbrauch sorgen. Das ist eine mögliche Antwort auf die neuen Anforderungen. Das Unternehmen verkauft weniger Spülmittel, jedoch zu einem höheren Preis. Eine geniale Erweiterung des Servicegeschäftes, das ökologisch und ökonomisch hilft!

Neue Ökologie-orientierte Anforderungen des Marktes führen nicht nur zu neuen Geschäftsmodellen. Auch die Entwicklung funktioniert im Kontext der Neo-Ökologie nach anderen Prinzipien. Dies bedeutet jedoch, dass Entwickler eine neue Denkhaltung benötigen.

Viele stellen sich in diesem Zusammenhang deshalb nicht nur die Frage, wie sie in ihrem Unternehmen den Weg dorthin ebnen. Sondern wollen auch wissen, welche Prozesse aus operativer Sicht notwendig sind, um auf die neuen Anforderungen einzugehen. Die Experten zum Thema Produkte und Prozesse am 25.05. sind Manuel Immler und Marilena Adleff. Hier geht's zum Video.

Wenn ein gutes Konzept zum Dogma wird

Ist es in Ordnung, wenn Vegetarier*innen mit einem Shitstorm überzogen werden – weil Veganer ihnen vorwerfen, nicht konsequent zu sein und „nur den halben Weg zu gehen“? Wird Idealismus zur Ideologie, wenn beim Versuch, Verpackungsmüll zu vermeiden, der Einsatz der Tupperdose verpönt ist? Was sagt man Menschen mit geringem Einkommen, die sich „fast fashion“ kaufen (müssen)? Wie ist damit umzugehen, wenn „grüne Technologie“ unter Missachtung von Menschenrechten produziert wird?

Wie bei so vielen Begriffen gilt auch hier: Der Schritt vom Konzept zum Dogma ist nicht weit. Und so steht auch der Begriff Neo-Ökologie beim einen oder anderen unter dem Verdacht, es handele sich wohl eher um eine Art Ersatzreligion.

Aber nochmals gefragt: Wer übernimmt die Verantwortung, Produkte zu produzieren, die günstig UND qualitativ wertvoll UND fair trade sind? Antworten auf diese und weitere Fragen lieferten Juliane Rink und Andreas Schrenk in ihrer Dusche Neo-Ökologie als Ersatzreligion? am 01.06. von 8.30 Uhr bis 8.50 Uhr. Hier kommen Sie zum Videomitschnitt.

In diesem Sinne wünschen wir einen spannenden Monat mit vielen neuen Impulsen. Denn um die Herausforderung der Neo-Ökologie zu meistern, können oder müssen wir noch ein paar Innovationsschritte gehen.

 

Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, bieten wir Ihnen hiermit noch weiteren spannenden Input an. Laden Sie sich hier die Aufzeichnung des Webinars "How to Geschäftsmodell in 2021? Bedürfnisse verschieben sich - Geschäftsmodelle werden zirkulärer" im Rahmen des "CyberForum"  herunter. 

Neuer Call-to-Action