Claudia Weyrauther Dec 17, 2021 7:19:29 AM Lesezeit 16 Minuten

Lost in virtual mobility?

Virtuell sozial als zentrale Führungsaufgabe - 300.000 Jahre Mobilitätskonzepte! 

 

Unglaublich, was wir Menschen uns schon alles haben einfallen lassen, um von einem Ort zum anderen zu kommen! Und das vor allem, um zueinander zu finden und „Dinge“ wie Sicherheit und menschliche Wärme, Informationen und Waren auszutauschen! 

Wir haben Tiere zu Transportmitteln umfunktioniert, haben das Rad und Boote erfunden und überqueren mit ihrer Hilfe auf unseren Handels- und Schifffahrtsrouten seit Jahrtausenden Kontinente und die Meere. Wir bauen kilometerlange Tunnel durch kilometerhohe Bergmassive, inzwischen sogar unter den Meeren und nehmen enorme Strapazen und Risiken auf uns, weil uns letztlich immer eines antreibt: die Sehnsucht nach „den Anderen“ - denen auf unserer Welt und sogar denen, die wir auf anderen Planeten nur vermuten können. Denn sie bewahren uns, inmitten der Unfassbarkeit des Alls und unserer Welt, vor unserer „existenziellen Einsamkeit“- und, konkreter, vor unserem schnellen Ende.

Der „soziale“ Mensch - ein genialer Schachzug der Evolution!

Denn die Evolution hat uns das dichte Fell und die Reißzähne „genommen“. An deren Stelle hat sie sich etwas Cleveres einfallen lassen: Sie hat uns „sozial“ werden lassen, uns über die zwischenmenschliche „Bindung“ und unsere immer differenzierter werdende Ausdrucksfähigkeit zu „Teams“ verschmelzen lassen, zu Netzwerken von Menschen, die gegenseitig von ihrer Unterschiedlichkeit profitieren. Nur in solchen Netzwerken konnten wir im Laufe der Zeit - geschützt, gepflegt und stimuliert durch die anderen - in diesem Ausmaß unser emotionales, kognitives und verhaltensbezogenes Potenzial entfalten und für unser (Über-)Leben nutzen. Und überhaupt zu Menschen mit einem „Ich“ werden: „Der Mensch wird am Du zum Ich“, dieser Satz von Martin Buber, dem großen Religionsphilosophen, gilt auch heute. Wir brauchen andere, um uns und die Welt zu erkennen und zu verstehen. Um uns in der Welt sinnhaft einzuordnen und uns mit ihr und anderen verbunden zu fühlen.  

Unser vorläufig letztes Mobilitätskonzept - Virtuelle Mobilität

Nichts an uns ist so „stationär“ wie unser Körper. Unsere Sinne und unser Geist dagegen überbrücken mit Leichtigkeit jegliche „Distanzen“ und Grenzen. Darauf bauen alle modernen Informations-, Kommunikations- und Medientechniken auf. Telefon und TV gehören schon lange zu unserem Alltag. Und nun - von jetzt auf nachher - auch die virtuelle Mobilität. Und was für ein Quantensprung: Wir hören und sehen uns in bewegten Echtzeitbildern und können sogar an gemeinsamen Dokumenten arbeiten. Und können auf diesem neuen Niveau auch noch in deutlich größeren und diverseren Netzwerken tun. Virtuelle Mobilität ist auf diese Weise schon heute der Motor für völlig neue Innovationen und Entwicklungen, ihr Potenzial zur Schonung der Umwelt darin eingeschlossen.  

Also, alles super, oder?

Virtuelle Mobilität = Fast-Realität

Nicht ganz. Irgendwie scheint die Mehrzahl der Menschen, die mehr oder weniger virtuell arbeiten (noch?) nicht so „gestrickt“ zu sein, um ausschließlich so zu arbeiten und dabei ihr Wohlbefinden aufrechtzuhalten. Irgendwie erscheint uns virtuelle Arbeit und Mobilität wohl doch noch als „second best“ - aber second best wozu? 

Auch wenn wir sie uns manchmal zum Mond wünschen: Unsere innere Stabilität, unser Wohlbefinden und damit unsere seelische Gesundheit lebt von der sinnlichen Verbundenheit, der „Rundum“-Kommunikation mit anderen Menschen. Und die läuft zu über 70% NICHT über Worte! Vielmehr sind es die feinen non- und para-verbalen Informationen - Mimik, Gestik, Stimmlage unserer ganzen Körper - die wir fortlaufend auslesen, weil sie uns Wichtiges über die anderen und unsere Wirkung auf sie mitteilen. All das geht an den Bildschirmen stark verloren, an denen wir uns häufiger als uns bewusst ist als bewegungs- und ausdruckslose „still faces“ gegenübersitzen. Wie soll das auch anders gehen, nur vom Hals aufwärts sichtbar, nicht immer mit stabilem Netz und bei mehreren Teilnehmern mit einem Bildausschnitt kleiner als eine Streichholzschachtel?     

Wo uns das Arbeiten face-to-face im Büro nicht selten überversorgt mit solchen Informationen - auch ein Grund, warum wir Home Office als entlastende Wohltat wahrnehmen - sind diese nun Mangelware. Mit Konsequenzen: Fehlende oder missverständliche Information verunsichert uns, erschwert die innere Resonanz auf andere, unsere Empathie und unser Verstehen, das sich In-anderen-Wiederfinden. Es kommt leicht zu Frustration, Konflikten und letztlich zu einem Auseinanderdriften. Unseren Beziehungen untereinander und unserer Bindung zum gesamten Team wird damit der stabile, emotionale Boden genommen -  und damit uns selbst.  

NOT Lost! - Führung sorgt für Zusammenhalt!

„Lost“ - abgeschnitten, isoliert, einsam können wir uns bei aller digitalen Vernetztheit fühlen, wenn unsere sozialen Bedürfnisse zu lange nicht ausreichend gedeckt werden. Das bedroht den Zusammenhalt unseres inneren Kerns. Was im Übrigen für alles Systeme, ob Menschen, Teams oder Organisationen zutrifft. 

Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Das Zauberwort dafür ist Ambidextrie: Auf der einen Seite müssen wir uns nicht krampfhaft „pimpen“ um zur neuen Welt zu passen. Wir werden uns an die neuen virtuellen Realitäten gewöhnen und anpassen und schließlich gekonnt „auf ihnen surfen“. Gleichzeitig dürfen wir unser evolutionäres „Strickmuster“, unser Menschsein, nicht ignorieren und alle technischen Möglichkeiten in diesem Sinne nutzen. 

Führung hat CVSR

Angelehnt an die Corporate Social Responsibility (CSR) von Unternehmen, ihre gesellschaftlichen Verantwortung im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens, sehe ich für Unternehmen und Führung künftig eine Corporate Virtual Social Responsibility (CVSR), also eine Verantwortung dafür, dass Digitalisierung und Virtualisierung von Arbeit sich daran messen lässt, wie sehr sie menschliche Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Zusammenhang und Zusammenhalt fördert. „Digital Leaders“ sind gefragt, sich selbst und ihre Rolle in der noch neuen virtuellen Mobilität zu verorten und einzurichten. Um sich selbst, andere und Teams führen zu können, müssen sie neues Wissen und passende Fähigkeiten aus- und aufzubauen. Organisationen wiederum sind gefragt, den notwendigen kulturellen - arbeitstechnischen und sozialen  - organisatorischen und strukturellen Rahmen zur Verfügung zu stellen. 

Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Sie den inneren Zusammenhalt Ihres mehr oder weniger virtuell arbeitenden Teams fördern können? Wir stellen Ihnen ein hilfreiches Modell dafür vor und zeigen Ihnen, wie Sie es anwenden können.